Mein Erasmus-Semester in Frankreich

Das Bild zeigt eine Gruppe Erasmus-Studierender in Frankreich.

Immer mehr Studenten in Deutschland entscheiden sich dafür ein oder mehrere Semester im Ausland zu verbringen. Einige Tausende von ihnen zieht es dabei jedes Jahr nach Frankreich.Über die Unterschiede, die sich grundsätzlich in den beiden Hochschulsystemen finden lassen, erfahren Sie mehr auf unserer Seite zum französischen Bildungssystem.
Doch was sind die Unterschiede, die man erst vor Ort bemerkt? Wir haben uns umgehört und beantworten Ihnen nachfolgend in Form eines Interviews mit einer Erasmus-Studentin gängige Fragen…

Kannst du dich kurz vorstellen? Wieso hast du dich für ein Auslandssemester in Frankreich entschieden?

Ich heiße Anna, bin 23 Jahre alt und habe 2018 ein Semester an der Université Bordeaux Montaigne studiert. In Deutschland studiere ich Mehrsprachige Kommunikation an der TH Köln, und in diesem Studiengang ist ein Auslandssemester obligatorisch. Da ich bereits vor meinem Studium schon einige Monate in Frankreich verbracht habe, und es mir sehr gut gefallen hat, wollte ich gerne auch mein Auslandssemester dort verbringen. Ich bewarb mich auf Plätze an verschiedenen Universitäten in Frankreich und wurde letztendlich in Bordeaux angenommen.

Wie hast du den Studienalltag an der französischen Uni im Vergleich zu Deutschland wahrgenommen?

Der Studienalltag an der französischen Uni war für mich als Erasmus Studentin ähnlich zu dem in Deutschland, denn ich durfte mir alle Kurse frei aussuchen und somit konnte ich auch pro Kurs zwischen verschiedenen Dozenten und Zeiten wählen. Für die französischen Studierenden war dies allerdings nicht der Fall. Sie waren in „Klassen“ aufgeteilt und die Uni hat dann Stundenpläne für die einzelnen Klassen in jedem Semester zusammengestellt. Die Inhalte der Kurse schienen mir im Vergleich mit denselben Kursen, die ich bereits in Deutschland besucht hatte, etwas leichter. In Frankreich gibt es wie auch in Deutschland unterschiedliche Veranstaltungen. Pro Modul wurden meistens eine CM, also eine Vorlesung, und eine TD, also eine Übung angeboten. Dabei fanden die CMs in großen Hörsälen gefüllt mit mehreren hunderten Studierenden statt, und die TDs in den einzelnen Klassen, die circa 25-35 Studierende umfassten.
Ein großer Unterschied ist also auf jeden Fall, dass das französische Hochschulsystem grundsätzlich verschulter erscheint als das deutsche. Während der Vorlesungen haben die Dozenten meistens keine Präsentationen oder Skripte zur Verfügung gestellt, und wenn dann nur mit sehr groben Stichpunkten, sodass man gezwungen war die gesamte Vorlesung lang beinahe Wort für Wort mitzuschreiben. Auch in den TDs merkte man einen großen Unterschied zu Deutschland, da die Anwesenheit zu Beginn jeder Stunde kontrolliert wurde, und man nicht einfach unentschuldigt der Übung fernbleiben konnte, ohne ein paar Punkte bei der Endnote einbüßen zu müssen. Außerdem wurden nach jeder Stunde Hausaufgaben für die folgende Woche aufgegeben, die dann kontrolliert wurden.
Auch wenn mir diese Herangehensweise nach wie vor nicht besonders gefällt, da ich die Freiheit, die man in Deutschland an der Uni hat sehr genieße, muss ich doch zugeben dass ich es so geschafft habe den Lernaufwand das ganze Semester lang konstant zu halten ohne 2 Wochen vor den Prüfungen in Lernstress zu verfallen.

Waren die Inhalte für dich leicht verständlich im Anschluss an deine bereits absolvierten Semester in Deutschland?

Bei mir hat es von Kurs zu Kurs variiert. Ich habe viele Kurse belegt, in denen ich sehr gut folgen konnte, da ich ähnliche Kurse bereits in Deutschland absolviert habe. Andere Kurse wie etwa waren trotz guter Vorkenntnisse eher anspruchsvoll.
Grundsätzlich habe ich auch im Vergleich mit anderen Erasmus Studenten/innen schnell gemerkt, dass es von großem Vorteil ist schon vorher gute Französischkenntnisse zu haben, ganz besonders im Punkt Hörverstehen.

Wie sind die Prüfungen abgelaufen, und gab es Unterschiede bei der Bewertung?

Was die Prüfungen betrifft, habe ich vergleichsweise große Unterschiede feststellen können. Zumindest in den meisten TDs gab es nämlich neben den Klausuren am Ende des Semesters sogenannte „contrôles continus“. Das bedeutet, dass jede Woche mehrere kleine Tests abgelegt werden mussten. Das Ganze lief zu 100 % online über ein Lernportal ab, und die einzelnen Noten die man Woche für Woche gesammelt hat, wurden dann am Ende in der Endnote verrechnet. Somit haben die Tests ca. 40 % und die Abschlussklausur 60 % der Note ausgemacht.
An die französischen Bewertungen musste ich mich auch erst einmal gewöhnen. Ich wusste zwar, dass 20/20 die beste Note ist, die man bekommen kann, und einer 1,0 in Deutschland entspricht, allerdings war mir nicht bewusst wie schwer es war das zu erreichen. Sehr schnell haben meine französischen Kommilitonen erklärt, dass es quasi unmöglich sei, eine Punktzahl zu bekommen die über die 18/20 hinausgeht.
Bei den Prüfungsleistungen, die auf Französisch abgelegt wurden, durften wir Erasmus Studierenden ein Wörterbuch benutzen. Auch bei der Bewertung waren die Dozenten sehr nachsichtig und haben aufgrund der erschwerten Umstände unter denen man als Nicht-Muttersprachler die Prüfung antrat eher milde bewertet.

Wie hast du soziale Kontakte knüpfen können und wie wurde die Integration der Erasmus-Studenten von der Hochschule organisiert?

Das Knüpfen von sozialen Kontakten war zum Glück überhaupt nicht schwer. Vor meiner Ankunft bin ich einer Facebook Gruppe für Erasmus Studierende in Bordeaux beigetreten, über die ich schnell Leute kennen gelernt habe. Am Tag vor dem offiziellen Semesterstart gab es dann eine kleine Welcome Veranstaltung für alle Studenten am Campus der Uni, bei der ich dann zufällig noch viele andere Erasmus Studenten getroffen haben. Diese waren auch fast ausnahmslos sehr offen, allerdings haben sich schnell Gruppen von Leuten mit der gleichen Nationalität gebildet, die dann auch nur ihre Sprache gesprochen haben. Meine Freundesgruppe bestand glücklicherweise aus Leuten verschiedener Nationalitäten, und wir haben uns gleich zu Beginn des Semesters dafür entschieden auf Französisch statt auf Englisch miteinander zu reden, um schneller Fortschritte machen zu können, und Hemmungen zu verlieren. Was den Kontakt zu Franzosen anging, war es leider nicht ganz so einfach. Die Uni bat ein Partnerprogramm an, bei dem man sich registrieren konnte, und dann sollte einem ein/e französische/r Student/in zugeteilt werden, der/die einem alles zeigt und mit Rat und Tat zur Seite steht. Die meisten Leute die ich kannte haben jedoch nach der Anmeldung nie eine Rückmeldung von Seiten des International Offices bekommen.
Grundsätzlich habe ich die Franzosen an meiner Fakultät leider eher als desinteressiert wahrgenommen, was den Kontakt zu Erasmus-Studenten angeht. Es gab aber zum Glück auch einige Ausnahmen!

Welchen Rat kannst du Studenten geben, die ihr Auslandssemester in Frankreich noch vor sich haben?

Am wichtigsten ist es wohl offen zu sein und auf andere Leute zuzugehen. Es mag den ein oder anderen Überwindung kosten, aber es hilft ungemein dabei eine Menge neue Freundschaften zu schließen, sich mit Leuten aus allen möglichen Ländern auszutauschen und die eigenen Sprachkenntnisse zu verbessern. Besonders wenn man sein Französisch aufbessern will, lohnt es sich, sich zu überwinden, und auch mit anderen Internationals auf Französisch zu sprechen!
Bezüglich der etwas anderen Herangehensweise was die Anwesenheitspflicht betrifft, rate ich auch dazu offen zu sein und die positiven Aspekte, die damit einhergehen zu sehen, anstatt sich von Anfang an die Freiheit der deutschen Uni zurückzuwünschen.

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